RELATIVITÄT

 

Die Zigarette beißt sich in seine Lungen. Ein tiefes inhalieren, und mit einem kurzen, heftigen Druck bläst er den Rauch gegen den in den letzten Monaten immer stumpfer gewordenen, blass leuchtenden Monitor seines Notebooks. Nach der zwanzigsten Kippe schmecken sie einfach nicht mehr, spürt er, und nimmt dennoch nicht wahr, dass er schon wieder marionettenartig an der Schachtel nestelt. Ein flüchtiger Blick auf den Anrufbeantworter. Kein blinkendes Signal, oder doch? Er schaut noch einmal hin, nein, kein Anruf in Abwesenheit. „Irgendwie drehe ich langsam durch“ denkt er kopfschüttelnd. „Was soll dieser ständige, verdammte Blick auf der Suche nach einem blassgrünen Blinken einer nie versäumten Stimme?“

Als würde sein Körper eine unsichtbare Masse zerschneiden geht er zum Fenster, starrt in das Dunkel der Nacht, macht kehrt, und setzt sich wieder an den mit Zeitschriften, ungeöffneten Rechnungen, und jeder Menge hier gänzlich unplatzierten Dinge übersäten Küchentisch. Das Biowetter hatte heute Morgen gesteigerte Neigung zu schizophrenem Verhalten prophezeit, als er mit Kaffee und Zigaretten die Schwäche der zu kurzen Nacht aus seinem müden Körper jagte.

„Wie viel Leere hält ein Leben aus?“, hämmert er mit flinken Fingern in die Tastatur, so als würde er die Worte tief in seine Seele schreiben, und jeder einzelne Buchstabe eine blutende, nie mehr heilende Wunde hinterlassen.

„Wo sind die Grenzen der Normalität?“  

„Normal“, brummt es in ihm.

Er erinnert sich an einen Spaziergang im Frühjahr. Die Fußgängerpassage war überfüllt mit lärmenden Menschen. Menschen mit hängenden Mundwinkeln. Mundwinkel die in ihrem Sog nach unten keine Grenzen mehr kannten. Hastige, hetzende Menschen. Dann dieser mongoloide, kleine Junge, der ihm so strahlend entgegen kam, mit einem unendlichen Glanz in seinen Augen, und einem unwiderstehlichen Lachen. Er weiß noch gut wie sie beide, der Junge und er, nahezu magnetisch ihre Augen fanden, und er sich nach ihm umgedrehte, als der Kleine, scheinbar unbeholfen an ihm vorüberging. Dieser strahlende Blick den der Junge ihm schenkte, fröhlich, unbekümmert und eindringlich, weiterlaufend und ebenfalls zurückblickend, so als wollte er ihm für die Ewigkeit eingravieren, wie sich Glücklichsein anfühlt.

Lachend, Späße machend und anerkannt kopiert sich sein Büroalltag. Jeder Tag. Und in den zähen Abendstunden bis zum letzten Schluck bewussten Atmens reißt er sich gelangweilt das Fleisch aus dem sinnlos gestählten Körper.

Das Biowetter hatte heute Morgen gesteigerte Neigung zu schizophrenem Verhalten prophezeit.