JEDE SEKUNDE

 

Schon von weitem sieht er die Gestalt auf der Bank sitzen. Welcher Narr setzt sich bei Kälte und Sturm in den Park denkt er, während sein schmaler, aus zusammengekniffen Augen blinzelnder Blick längst wieder dem nassen Boden folgt, das Kinn fest auf die Brust gepresst. Den Mantelkragen weit hochgezogen, zählt er seine schneller werdenden Schritte. Sie sind wie ein treibender Taktgeber, wenn sich der Rhythmus langsam immer weiter steigert.  „Bolero“ lächelt es in ihm, und seine Schuhe trommeln auf dem Asphalt, gedämpft von den feuchten Blättern die  unter seinen Sohlen haften. 

Wie kleine Nadelstiche beißen ihm die Regentropfen auf der Haut, als er flüchtig den Kopf hebt, für einen kurzen Blick zur Parkbank. Sekundenschnell nimmt er seine gekrümmte, windgeschützte Haltung wieder ein,  und in seinen Augenwinkeln verschwimmen die  Umrisse dieser bewegungslosen, tief in sich gekauerten Gestalt. 

„Verdammte Kälte “ raunt ihm der Mann auf der Bank zu, während er vorbeihuscht, seine Blicke immer noch unbeirrt wie auf den Boden genagelt. Nur unmerklich verlangsamt er seinen Gang, die seinen Rhythmus störenden Dissonanzen in seinem Kopf irritieren ihn für eine Moment, bevor er wieder den Takt findet, die Schritte zählt,  und  sich kindlich, still jauchzend wundert, wie glatt der Regen die Blätter auf den Boden küsst. 

„Es war eine schöne Zeit“, spricht die Stimme wieder zu ihm. Erschrocken bleibt er stehen. So weit liegt die Bank schon hinter ihm, selbst wenn diese Gestalt laut geschrieen hätte, es wäre unmöglich sie zu hören, schon gar nicht bei diesem pfeifenden Tanz des Windes. Eine Mischung aus Neugier, Spannung und Angst packt ihn, spielt zuckend mit seinen Mundwinkeln, bis er doch seinen Kopf dreht, und zurückblickt.  

Das blassdämmrige Licht der Parkbeleuchtung spiegelt sich im Regennass der verlassenen Bank.

Fröstelnd geht er weiter, langsam, Schritt für Schritt. Der Wind bläht ihm den Mantel wie Flügel vom Körper, während seine Blicke den langsam heller werdenden, schimmernden Pfützen folgen, bis endlich der Park hinter ihm liegt.

Er zieht den Mantelkragen noch ein Stück höher, vergräbt seinen Kopf darin, während der blättrige Asphaltboden sanft von den lieblos gleichmäßig gelegten Pflastersteinen des Bürgersteigs abgelöst wird, und diese seltsamen Worte noch immer seine Gedanken locken - bis er vor die Parkbank tritt und sich an die Hand nimmt.

Die grellen Scheinwerfer des Nachtbusses und das gleichmäßige Surren des immer noch laufenden Dieselmotors verstärken die Panik im Gesicht des davor kauernden Fahrers zu einem schattigen, stummen Grauen.

Jede Sekunde ist Leben.